Fortsetzung "Gedanken unter Segel"

ständig Tränen in die Augen zaubert. Einer so harten Sau wie mir :-) einem 42 jährigem Mann, der nicht mal jammert, wenn ihm alle zehn Fußnägel gleichzeitig hochklappen.
Es gab unterschiedlichste Phasen ... manchmal bekam ich ein paar Zwiebeln und Tomaten ... im Vorbeigehen 2 Euro 43 ... 50 Euro ... ein Bett ... das volle Luxusprogramm ...mal Benzin... alles was man sich vorstellen kann und was ich dringend benötige, um das hier zu schaffen. So manches Mal hatte ich einfach nur ein begeistertes, einfaches Gespräch. Ich habe begriffen, keine Vergleiche zu ziehen und Dankbarkeit auf eine unglaublich magische, neue Art kennengelernt. Du gibst mir eine Zwiebel? Dann tränen mir beim Schneiden die Augen. Du gibst mir 50 Euro? Dann blutet meine Unterlippe, weil ich mir vor Freude darauf gebissen habe. Aber eines ist bei beidem gleich ... mein Level der Dankbarkeit. Es spielt keine Rolle was es ist, dass mich weiterbringt. Dankbar und ohne Erwartung zu sein ist ein Magnet, der das "Bekommen" explosionsartig anzieht, wenn du dieser Mixtur auch noch Freundlichkeit, bescheuerten Humor und Begeisterung beifügst. Alles endet fast täglich in unfassbar schönen Momenten und Bereicherungen. Das verflucht Schöne ist :-) ... ich bin noch lange nicht am Ende und in meinem Kopf brodelt es nur so voller verrückter Ideen.



Freitag, der 14.10 2011
Am späten Nachmittag erreiche ich unter Segeln den vorgelagerten Schutzhafen vor dem wohl kürzesten und gleichermaßen teuersten Kanal der Welt. Dem Kanal von Korinth. 40-Fuß Yachten zahlen hier gerne 320 Euro für die sehr hübsche 3 Meilen Passage mit ihren bis zu 50 Meter hohen Steilwänden (vom Kapitän geschätzt :-). Er verbindet die Ägäis mit dem Golf von Korinth und soll mich etwas schneller nach Italien bringen. Sehe den Tower vor dem Kanal ... er sieht bedrohlich nach "Geld haben wollen" aus. Gehe in dem Schutzhafen vorher auf Seerohrtiefe, um den ganzem Kram dort erstmal auszuspähen und lege mich an an einen Dreierpack Arbeitsschiffe. Der mittlere Kahn hat einen Kran drauf und Gottlob eine Baubude ohne Tür, in die mein Zelt passt. "Was für ein Luxusapattemäng", denke ich und bin also ersmal gut untergebracht für die Nacht, um Morgen früh einen überzeugenden "bitte lasst mich umsonst durchfahren Kurs" anzustreben. Wer da wohl auf michwartet? ... Zeitsprung ...



Samstag, der 15.10.
Habe gut und trocken gepennt in meiner Baubude trotz tonnenweise Regen in der Nacht. Bin um 8 Uhr 30 klar zum Übersetzen. Stunde der Wahrheit!!! Als ich an der Pier festmachen will, grölt eine "Towerin" aus dem Fenster: "come inside" ... versuche ihren Sympathie-Grad ohne Fernglas auszumachen und entscheide mich spontan für eine Drei Plus. Also dann los :-) mache innenseitig fest ... komme sofort mit einem Lotsen in`s Gespräch, der die großen Schiffe durch den Kanal führt. Sein Englisch ist natürlich wieder besser als meines ... schaffe es aber ihn zu begeistern ... "Du hast Mykonos gefahren in diesen Tagen? Du bist verrückt, aber mutig, das muss ich dir lassen." fügt er lachend hinzu. Zusammen betreten wir das Büro im Tower ... ein Riesenschreibtisch mit einem Haufen technischen Dingen darauf erwartet mich. Der Herrscher dahinter sieht für mich nach einer fifty-fifty Chance aus. Erkläre ihm meine Situation ... "I dont have money ... no plastik ... nothing! ... hilf mir, diesen Weg zu gehen." ... Er schüttelt seinen Kopf waagerecht ... verflucht!!! In meinem Kopf tummeln sich stinkende Bananenschalen und entgleiste Züge in dieser Sekunde ... "help me", schmettere ich mit einem selbstbewußten Grinsen hinterher. Der Lotse spricht mit ihm ... ich soll draußen warten ... man telefoniert ...



nach 10 Minuten das "OK you can go"!!!! Yes!!!! Der Lotse war mein Trumpf. Dank seiner Begeisterung für die Tatsache, dass ich ein unglaublich schwieriges Seegebiet mit diesem Boot unter Horrorbedingungen durchkreuzt hatte, öffneten sich hier alle Tore. Ich darf hinter dem nächsten Containerschiff hinterher, auf das mein Lieblingslotse sich bringen lässt. Als sich der Pott nähert, lege ich ab und gehe dicht hinter seinen Hintern. Plötzlich kommt der Kapitän aus der Brücke seines Schiffes ... winkt in meine Richtung ... verneigt sich ... ich drehe mich um ... ???!!!??? Da war nur ich :-) "Der meint dich Andreas!" Der Lotse muss ihm von Mykonos und Kea erzählt haben. Aus dem Tower winken auch drei Leute ... von der Pier winken welche ... von der anderen Landseite auch ... werde plötzlich ganz gerade im Rücken ... Stolz? Ja :-) Diesmal war ich wirklich stolz. Ein wunderbarer Moment der Anerkennung. Als ich hinter dem großen Pott hertrotte, von dem immer wieder Crewmitglieder nach hinten kommen um Fotos zu machen und zu winken, ist es kein Blut, das durch meine Adern fließt. Dat war heiße Schokolade oder irgendein guter Bordeux oder soetwas :-) Irre!!!



Mittwoch, der 19.10.2011
Trizonia im Golf von Korinth. Es wird bald dunkel. Sitze in meinem Stuhl und will in meinTagebuch schreiben. Meine Gedanken marschieren weg ... das Buch fliegt zur Seite ... falte meine Hände ... der Kopf sackt nach vorne. Oft verharre ich in dieser Stellung und mir fällt auf, wieviel Ruhe ich bekommen habe. Mit einem geöffneten Auge entgeht mir der alte Eisstiel vor mir im Dreck jedoch nicht ... Material: Rund/stabiler Kunstoff, stelle ich fest. "Du musst deine Ohren mal wieder sauber machen, Andreas!", denke ich. "Mit diesem abgeleckten Eisstiel? Du Schwein!", denkt der Erwachsene in mir. "Wer mag wohl dran geleckt haben?" erobert sich das Kind in mir wieder die Oberhand. "28 Jahre? Blond? Vollbusig?" Beide Augen öffnen sich ... muss laut lachen und hänge noch einen Gedanken dran. "geknutscht hättest du ja auch mit ihr!!!" ... 5 Minuten später waren meine Ohren wieder gesellschaftsfähig:-)) Allīdiese Situationen ... die Geschichte um Stefan Ritscher ... die Hardcore-Etappe Syros-Lavrion etc. ... all diese wundervollen Menschen ... mein Außenborder ... unmöglich dem in meinen Updates gerecht zu werden. Alles wird seinen gerechten Platz bekommen!

Heute ist Freitag, der 21.Oktober 2011, in Navpaktos/Griechenland im Golf von Korinth

Dieser Törn ist dabei, mich zu verändern und ich werde soviele Menschen mit auf meine Reise nehmen, wie ich kann.